Wann beginnt die Verjährungsfrist bei einem Geburtsschaden?
Nach einer dramatischen Geburt kommt ein Baby mit einem gelähmten Arm auf die Welt. Jahre später beauftragen die Eltern einen Rechtsanwalt wegen dem Geburtsschaden und verklagen die Klinik wegen eines Behandlungsfehlers. Die beruft sich auf Verjährung. Zu Recht?
Die moderne Medizin kann viel – mitunter kann sie sogar bestimmte Risiken bei einer Geburt voraussagen. Das gilt allerdings nur, wenn die diensthabenden Ärzte die Daten richtig auswerten. Im Fall einer Frau, die zur Niederkunft in eine Klinik kam, ist das offenbar unterblieben.
Die Geburt verlief zunächst ganz normal. Dann kam es zu einer Schulterdystokie. Dabei klemmt sich die Schulter des Babys hinter dem Schambein der Mutter ein. Es kommt zum Stillstand der Geburt.
Die gynäkologische Chefärztin der Klinik ordnete daraufhin eine vaginal-operative Entbindung an. Direkt danach war der linke Arm Kindes mit Hämatomen besetzt und schlaff. Später wurden Schädigungen der Nerven und eine Schlüsselbeinfraktur diagnostiziert.
Erhöhtes Risiko missachtet
Die Eltern des Kindes unternahmen zunächst keine rechtlichen Schritte. Im August 2006 erstellte die Mutter dann allerdings ein umfangreiches Gedächtnisprotokoll, in dem sie die Ereignisse von ihrer Aufnahme ins Krankenhaus bis zur Geburt ihres Sohnes detailliert beschrieb. Dabei kritisierte sie nicht nur die angewandte geburtshilflichen Technik, sondern bemängelte auch, dass man sie nicht über deren Risiken informiert bzw. ihr keine
Entbindung per Kaiserschnitt angeboten habe.
Ihr Sohn war mit einem Geburtsgewicht von 5100 Gramm zur Welt gekommen. Bei so großen Babys ist das Risiko einer Schulterdystokie gegenüber kleineren Kindern um das 200-fache erhöht. Dennoch hatten die Ärzte im Krankenhaus das Geburtsgewicht nicht ermittelt und sie auch nicht über alternative Entbindungsmethoden aufgeklärt.
Ein inzwischen beauftragter
Rechtsanwalt forderte daraufhin die Dokumentation des stationären Aufenthalts der Mutter von der Klinik an. Im Anschluss machte der Jurist Schadenersatzansprüche geltend. Die Haftpflichtversicherung der Klinik verweigerte jedoch die Leistung.
Im Oktober 2010 erhoben die Eltern des Jungen schließlich Klage im Namen ihres Sohnes. Sie forderten Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 40.000 Euro sowie Ersatz für künftige materielle und immaterielle Schäden ihres Kindes. Die Klinik hingegen wandte ein, dass die Ansprüche verjährt seien, da die Eltern bzw. der Rechtsanwalt spätestens ab dem Zeitpunkt Kenntnis von den (unstreitig vorliegenden) Behandlungsfehlern hätten haben müssen, in dem sie die Dokumentation der Klinik in den Händen hielten.
Patienten und Rechtsanwälte haben keinen medizinischen Sachverstand
Vor dem Bundegerichtshof hatte das Krankenhaus mit diesem Vorbringen allerdings keinen Erfolg. Die Karlsruher Richter entschieden: Weder von einem Patienten noch von dessen Rechtsanwalt könne man grundsätzlich erwarten, dass er ihm zugesandte Krankenhausunterlagen auf
ärztliche Behandlungsfehler überprüfe. Die Verjährung der
Arzthaftungsansprüche beginne daher nicht schon in dem Zeitpunkt, in dem eine Partei die Behandlungsunterlagen erhält und prüfen kann. Nur ein Fachmann, sprich ein anderer Arzt oder ein
medizinischer Gutachter, könne aus solchen, oft ungeordneten Unterlagen erkennen, ob eine fehlerhafte Behandlung vorliegt (Az. VI ZR 186/17).
Vor diesem Hintergrund war eine Verjährung der Ansprüche zu verneinen.
Die Klinik musste für den (unstreitigen) Behandlungsfehler haften und
Schmerzensgeld zahlen.