Arzt darf bei Überwachung von Patienten nicht nur auf Apparate vertrauen

Wegen eines defekten Beatmungsgerätes erleidet eine Patientin während einer Narkose einen schweren Hirnschaden. Für die Verwendung des Apparates und den dadurch entstandenen Sauerstoffmangel muss allerdings der Anästhesist geradestehen. Es gibt nur wenige Situationen im Leben, in der die Vitalfunktionen eines Menschen so intensiv überwacht werden, wie während einer Vollnarkose. Nicht immer allerdings reagieren die beteiligten Ärzte angemessen auf Auffälligkeiten oder Komplikationen. So auch in einem Fall, den jetzt das Oberlandesgericht (OLG) München zu entscheiden hatte. Konkret ging es um eine heute 24 Jahre alte Frau, die sich unter Vollnarkose einer Zahnbehandlung unterzogen hatte. Etwa 15 nach Beginn der Operation sank die Sauerstoffsättigung im Blut der Patientin.  Weitere 15 Minuten später traf der Rettungsdienst ein. Er trennte die Frau von dem bei der Behandlung verwendeten Beatmungsgerät und schloss sie an einen anderen Apparat an. Daraufhin stabilisierte sich die Situation umgehend und die Sauerstoffsättigung im Blut der Frau stieg wieder an.  Zu diesem Zeitpunkt hatte die Patientin wegen des Sauerstoffmangels jedoch schon einen Hirnschaden erlitten.

Arzt darf klinische Symptome nicht ignorieren

Vor dem OLG München verlangte die Patientin, vertreten durch ihren Rechtsanwalt, Schmerzensgeld und Schadenersatz. Dabei ging es auch um die Frage, ob der Narkosearzt für Schäden geradestehen muss, die durch den Defekt an einem maschinellen Beatmungsgerät entstehen. Das Gericht bejahte diese Frage und befand: Verlässt sich der Anästhesist bei einem zyanotisch werdenden Patienten weiter auf Geräteanzeigen, die eine ordnungsgemäße Sauerstoffversorgung anzeigen, stellt der unterlassene Wechsel des Beatmungsgerätes einen Behandlungsfehler dar. Spätestens, wenn ein Patient sich blau zu verfärben beginne, müsse der Arzt, so erforderlich, auch eine Mund-zu-Tubus-Beatmung durchzuführen. Tut er dies nicht und verlässt sich trotz eingetretener Hypoxie-Anzeichen auf die Angaben des Beatmungsgerätes, die eine ausreichende Sauerstoffsättigung anzeigen, haftet er für die entstandenen Schäden (OLG München, Az. 24 U 2706/19).

Kommentar von Jürgen Wahl, Fachanwalt für Medizinrecht:

Medizinische Apparate mögen immer ausgefeiltere Funktionen haben, dennoch darf sich ein Arzt nicht alleine auf deren Messwerte verlassen. Stattdessen muss er auch klinische Symptome wie etwa eine Verfärbung der Haut ernst nehmen und entsprechend reagieren.

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Wie die Aussichten in Ihrem konkreten Fall stehen, kann ein Rechtsanwalt mit genauen Kenntnissen im Arzthaftungsrecht beurteilen. Rechtsanwalt Jürgen Wahl ist Fachanwalt für Medizinrecht und Fachanwalt für Versicherungsrecht. Anwalt Arzthaftung: Sie erreichen ihn unter der Telefonnummer 069 / 82 37 66 42 oder per E-Mail unter recht@arzthaftung-offenbach.de