Gericht verurteilt Arzt (auch) wegen Beweisvereitelung
Wie muss ein Arzt reagieren, wenn eine Patientin während einer Narkose blau anläuft, die Geräte aber normale Werte anzeigen? Und welches Verhalten ist in einem solchen Szenario tabu? Das Oberlandesgericht München vertritt hierzu eine klare Linie.
Ein sechsjähriges Mädchen soll unter Narkose zahnärztlich versorgt werden. Nach 15 Minuten fällt die Sauerstoffsättigung im Blut der Patientin ab. Zwar wird angesichts dieser Hypoxie ein Rettungsteam gerufen, die Beatmung geht aber unverändert weiter. Erst, als der Notarzt das Kind 20 Minuten später von der Maschine trennt, stabilisieren sich die Werte wieder. Zu diesem Zeitpunkt hat das Mädchen bereits eine bleibende Hirnschädigung erlitten.
Nachträgliche Begutachtung des Gerätes vereitelt
Im anschließenden Ermittlungsverfahren gab der Arzt zu seiner Entschuldigung unter anderem an, dass er – um ein technisches Problem auszuschließen – sofort das Narkosegerät kontrolliert habe. Diese Kontrolle sei „nach der Maßgabe des Gerätechecks A“ erfolgt.
Er habe unter anderem die Gasmessung kontrolliert, sich selbst die Maske aufgesetzt, um zu eruieren, ob Gerät ordnungsgemäß arbeitet und entsprechend die CO₂-Ausscheidung anzeigt. Diese Prüfung habe er später, zusammen mit einem Kollegen, nochmals durchgeführt.
Beweisvereitelung durch „Hantieren am Beatmungsgerät“
Im späteren Gerichtsverfahren vor dem Oberlandesgericht (OLG) ging es entsprechend nicht nur um die Frage, ob dem Narkosearzt ein
Behandlungsfehler vorzuwerfen ist, weil er trotz des Abfalles der Blutsauerstoffkonzentration auf bis zu 40 Prozent die Maskenbeatmung beibehielt, statt das Kind mit alternativer Methode zu beatmen. Geklärt werden musste auch die Frage, wen die Beweislast für dessen Vorliegen trifft, wenn der Arzt im Nachgang des folgenreichen Zwischenfalles so an dem
defekten Gerät hantiert, dass dessen Begutachtung später nicht mehr möglich ist.
Das Gericht bejahte im konkreten Fall eine Beweisvereitelung, die nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Beweiserleichterungen bis hin zur
Umkehr der Beweislast nach sich zieht (vgl. BGH Az. VII ZR 64/07).
Da der Arzt vorliegend die Beweislage (grob fahrlässig) verunklart hat, sah das OLG ihn daher in der Pflicht, eine andere Ursache für die Hypoxie der Patientin nachzuweisen, als die Zufuhr eines nicht hinreichend sauerstoffgesättigten Gasgemisches.
Das gelang dem Mann im konkreten Fall nicht, so dass er auch unter diesem Gesichtspunkt für die entstandenen Schäden haften musste (OLG München, Az. 24 U 2706/19).
Kommentar von Jürgen Wahl, Fachanwalt für Medizinrecht:
Dass das OLG München einen Behandlungsfehler annimmt, wenn ein Arzt eine Patientin mit Sauerstoffmangel nicht vom Beatmungsgerät trennt, ist ebenso zu begrüßen wie die klare Linie zur Beweiserleichterung im
Arzthaftungsprozess.
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Wie die Aussichten in Ihrem konkreten Fall stehen, kann ein Rechtsanwalt mit genauen Kenntnissen im Arzthaftungsrecht beurteilen. Rechtsanwalt Jürgen Wahl ist
Fachanwalt für Medizinrecht und
Fachanwalt für Versicherungsrecht.
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