Obergrenze für Geburtsschäden OLG Köln 5 U 24/18

OLG Köln sieht momentane Obergrenze für besonders schwere Geburtsschäden bei 500.000 Euro

Erleidet ein Kind durch einen Behandlungsfehler bei der Geburt schwerste Schäden und wird nie ein eigenständiges Leben führen können, so liegt die momentane Obergrenze des Schmerzensgeldes bei 500.000 Euro – so das OLG Köln (Az. 5 U 24/18). Diese Obergrenze kann jedoch im Einzelfall und für zukünftige Fälle erhöht werden.

Behandlungsfehler bei der Geburt – Der Sachverhalt

Mitte 2013 stellte sich eine werdende Mutter in der 38. SSW mit bereits verstärkter Wehen-Tätigkeit in einem Krankenhaus zur Geburt ihres Kindes vor. Der kindliche Herzschlag war bei der Aufnahme unauffällig und das Geburtsgewicht wurde auf etwa 2,9 kg geschätzt. An diesem Tag schwankte der kindliche Herzschlag stark und war z.T. so niedrig, dass mehrmals medikamentös eingegriffen wurden musste. Gegen Ende des Tages war der Muttermund bereits vollständig geöffnet und die Geburt des Kindes wurde eingeleitet.

Klinikpersonal reagierte nicht angemessen auf Verzögerungen bei der Geburt

Da die Geburt des Kindes sich weiter verzögert hat und der kindliche Herzschlag wieder verlangsamt war, wurde versucht mittels vaginal-operativen Methoden das Kind zu entwickeln. Die Zuhilfenahme einer Saugglocke brachte nur wenig Besserung. Zwischenzeitlich erwogen die Ärzte eine Notsectio, jedoch gelang es mittels einer Geburtszange (Forceps) das Kind zu entwickeln. Das Kind wurde sofort von einem bereitstehenden Anästhesisten-Team reanimiert und etwa 45 Minuten nach der Geburt mit einem Team aus Kinderärzten einer anderen Klinik dorthin verlegt. Die dortige stationäre Behandlung dauert etwa 3 Monate.

Kläger halten 600.000 Euro Schmerzensgeld für angemessen

Das Kind erlitt durch die Unterversorgung mit Sauerstoff während der Geburt eine hypoxische Hirnschädigung, die eine Pflege rund um die Uhr nötig macht. Weder sind eine eigenständige Ernährung möglich, noch sind irgendwelche Alltagskompetenzen vorhanden. Es ist auch nicht damit zu rechnen, dass diese im Laufe der Zeit erlernt werden können. Aufgrund dieser schweren Einschränkung forderten die Eltern des Klägers 600.000 Euro Schmerzensgeld.

Landgericht Aachen: Geburtsschaden hätte vermieden werden können

Das Landgericht Aachen hielt in einem ersten Verfahren ein Schmerzensgeld von 450.000 Euro für angemessen. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die beklagte Oberärztin während der Geburtsphase am Abend falsch reagiert hat und Befunde entgegen der Regeln der ärztlichen Kunst nicht erhoben hat. Sie hätte bei Übernahme der Geburt auch die vorherig aufgezeichneten CTG-Streifen befunden müssen um dann eine Mikroblutuntersuchung durchzuführen. Die Mikroblutuntersuchung ist eine sog. Blutgasanalyse des fetalen (kindlichen) Blutes, die gezeigt hätte, dass das Blut des Klägers bereits übersäuert gewesen ist, was auf eine Azidose hinweist. Danach hätte sofort eine Notsectio folgen müssen, durch die eine deutlich frühere Geburt ermöglicht worden wäre. Der Sachverständige in diesem Verfahren kam zu dem Schluss, dass eine Geburt etwa 35 Minuten früher möglich gewesen wäre, was die gesundheitlichen Schäden minimiert oder sogar gänzlich vermieden hätte.

Revision wegen der Höhe des Schmerzensgeldes

Gegen die Entscheidungen des Landgerichts Aachen gingen die Eltern des Klägers in Berufung. Sie vertraten die Meinung, dass das Schmerzensgeld zu niedrig für die schwersten Schäden bemessen sei. Durch das Verhalten des Haftpflichtversicherers und den Versuch sich der Haftung zu entziehen, müsse diese Verhalten auch bei der Bemessung des Schmerzensgeldes Berücksichtigung finden. Damit in Zukunft solche unnötigen Prozesse vermieden werden und sich Haftpflichtversicherer auch außergerichtlich an einer Aufklärung und regulieren beteiligen mögen, könnte diesem Verhalten nur mit einer empfindlichen Erhöhung des Schmerzensgeldes begegnet werden.

OLG Köln: 500.000 Euro zur Zeit Obergrenze für schwerste Geburtsschäden

Das OLG Köln hielt nun in seinem Beschluss eine zur Zeit selbst gesetzte Obergrenze von 500.000 Euro als Schmerzensgeld für gerechtfertigt. Zwar habe das OLG Köln auch bereits 550.000 Euro als Schmerzensgeld für schwerste Geburtsschadensfälle zuerkannt, jedoch lagen dabei weitere Gesundheitsbeeinträchtigungen vor. Die Bemessung des Schmerzensgeldes sei aber auch kein einfaches Aufaddieren bestimmter vorliegender Krankheitsbilder, sondern es müssen die Folgen des Gesundheitsschadens in seiner Gesamtheit berücksichtigt werden. Dem Kläger fehlt beispielweise die jedem Menschen natürlich gegebene Fähigkeit seine Umwelt wahrzunehmen und mit ihr zu interagieren. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist das Fehlen dieser Fähigkeit besonders zu berücksichtigen.

Verhalten der Haftpflichtversicherung vor dem Prozess nicht von Bedeutung

Allerdings kommt bei der Bemessung des Schmerzensgeldes dem vorgerichtlichen Verhalten der Haftpflichtversicherung keine tragende Rolle zu. Zwar haben andere Gerichte schon entschieden (Urteil LG Gießen - Az. 5 O 376/18), dass das vorgerichtliche Verhalten der Haftpflichtversicherung eine Erhöhung rechtfertigen kann, jedoch schloss sich das OLG Köln dem nicht an. Erst durch das Zusammenspiel der einzelnen Behandlungsfehler ergab sich während des Gerichtsverfahrens eine Haftung. Auch der Vorwurf, dass sich der Haftpflichtversicherer nicht an der Klärung der Sach- und Rechtslage beteiligt hatte, stand nicht fest. Das OLG hielt dem Haftpflichtversicherer zugute, dass dieser die Korrespondenz zügig führte und keine Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil einlegte.

Was der Fachanwalt dazu sagt

Sicherlich mag die Zeit der Geburt für die Eltern und das Klinikpersonal eine sehr hektische sein. Allerdings ist das Klinikpersonal dies gewöhnt und muss in jedem Fall richtig und angemessen reagieren. Daran fehlte es jedoch bei dieser Geburt. Selbst dem medizinischen Laien fällt schon auf, dass die Herzfrequenz des ungeborenen Fötus nicht ohne Grund mehrmals sehr niedrig war. Schon hier hätten die Alarmglocken bei den Beteiligten klingeln müssen. Außerdem hätte die Frage, ob ein Not-Kaiserschnitt hätte durchgeführt werden müssen, relativ einfach mit einer Untersuchung des fetalen Blutes beantwortet werden können. Umso schicksalhafter ist es daher, dass die schwersten Geburtsschäden damit fast gänzlich hätten vermieden werden können. Ob ein Schmerzensgeld von 500.000 Euro in diesem Fall gerechtfertigt ist, bleibt offen. Zwar sieht das OLG Köln diesen Betrag als momentane Höchstgrenze an, doch geht es hier um ein neugeborenes Kind, das nie eigenständig auch nur essen können wird. Die Fähigkeit mit seiner Umwelt zu interagieren wird sich bei dem Kläger niemals entwickeln. Dafür erscheint diese momentane Höchstgrenze als zu starr und in diesem Fall zu gering angesetzt.

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