800.000 Euro Schmerzensgeld nach missglückter OP

Weil das Beatmungsgerät während einer OP nicht richtig angeschlossen war, wurde ein erst 17-Jähriger 25 Minuten lang nicht mit Sauerstoff versorgt. Der Patient erlitt eine hypoxische Hirnschädigung und verlor jede Perspektive für ein normales Leben. Für diesen absolut vermeidbaren Fehler verurteilte das Landgericht Gießen (Az. 5 O 376/18) das beklagte Krankenhaus zur einer Schmerzensgeldzahlung von insgesamt 800.000 Euro.

Junger Mann bricht sich bei einem Fußballspiel das Nasenbein – Der Sachverhalt

Bei einem Fußballspiel bricht sich ein 17-Jähriger das Nasenbein. Er fährt in eine Klinik, wird geröntgt und soll die Verletzung vor allem kühlen. Am nächsten Tag wird der Patient nochmal in der Klinik vorstellig. Man rät ihm zu einer operativen Versorgung der Nasenbeinfraktur. Bei dieser OP erleidet der Patient jedoch eine 25-minütige Sauerstoffunterversorgung des Gehirns. Grund war, dass Schläuche des Beatmungsgeräts falsch angeschlossen waren.

Sauerstoffunterversorgung führt zu Hirnschädigung – 17-Jähriger wird zum Schwerst-Pflegefall

Nach dieser Sauerstoffunterversorgung ist der Patient schwerstgeschädigt und ein Schwerst-Pflegefall. Er erlitt eine schwere hypoxische Hirnschädigung. Darüber hinaus hat er sein Sprechvermögen völlig verloren, leidet unter einer Lähmung aller vier Extremitäten (spastische Tetraparese) sowie einem apallischen Syndrom. Seit dem operativen Eingriff befand sich der Patient mehrmals in Rehabilitation und verschiedenen Pflegezentren, in denen er auch heute noch stationär gepflegt wird.

Haftpflichtversicherer zahlt 500.000 Euro Schmerzensgeld

Der Haftpflichtversicherer des beklagten Krankenhauses hat die Einstandspflicht anerkannt und gab ein Haftungsanerkenntnis ab. Im vorgerichtlichen Zeitraum zahlte der Haftpflichtversicherer insgesamt 500.000 Euro als Schmerzensgeld und ca. 800.000 Euro als Ersatz der materiellen Schäden aus. Der Patient beanspruchte allerdings ein Schmerzensgeld von mindestens 1.000.000 Euro. Dies sei auch der Tatsache geschuldet, dass sein Umfeld massiv unter der Situation leide. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass die Nasenbeinfraktur auch konservativ hätte behandelt werden können und somit der Eingriff nur relativ indiziert war.

Versicherung: 500.000 Euro Schmerzensgeld sind angemessen

Das beklagte Krankenhaus sah das bereits gezahlte Schmerzensgeld von 500.000 Euro als angemessen an, da auch in ähnlich gelagerten Fällen dieser Betrag als maximal angemessen erachtet werden könnte. Im Gegensatz zu vergleichbaren Fällen, bei denen Geschädigte durch die Geburt einen hypoxischen Hirnschaden erlitten, sei die Situation des Patienten hier als weniger gravierend einzustufen, da ein Säugling eine noch längere Leidenszeit vor sich habe, ohne eine normale Kindheit. Außerdem lag eine dislozierte Nasenbeinfraktur vor, bei der eine OP in Vollnarkose notwendig gewesen sei.

Landgericht Gießen: Fehler war vermeidbar – 800.000 Euro Schmerzensgeld in diesem Fall angemessen

Das Landgericht Gießen sprach dem Kläger ein Schmerzensgeld von insgesamt 800.000 Euro zu und betonte, dass dies auch vor der Doppelfunktion, die das Schmerzensgeld erfülle, nicht überhöht und der Situation angepasst sei. Die Doppelfunktion des Schmerzensgeldes besteht gerade darin, den Geschädigten für Schäden nichtvermögensrechtlicher Art einen Ausgleich zu verschaffen und ihm eine gewisse Genugtuung für das schädigende Ereignis zukommen zu lassen. Dabei spielen verschiedene Betrachtungen eine Rolle, wie zum Beispiel das erlittene Maß der Lebensbeeinträchtigung.

Junge Menschen leiden länger an Gesundheitsbeeinträchtigungen

Dabei fand das relativ junge Alter und die schwere Gesundheitsbeeinträchtigung Berücksichtigung. Gerade das Alter und die mögliche Leidenszeit des Geschädigten sind ein besonderes Bemessungskriterium, da die Schmerzen und Leiden des Geschädigten umso höher sind, je größer die Lebenserwartung noch ist. Bei einem 17-jährigen jungen und gesunden Mann ist bei der Schwere der Schädigungsfolgen davon auszugehen, dass seine Lebensperspektive vollständig zerstört worden ist. Es wirkt sich entgegen der Meinung der Beklagten nicht mindernd aus, dass der Kläger noch seine Jugend und Kindheit erleben durfte. Dies rechtfertigt im Vergleich zu einer Schädigung im Säuglings- bzw. Kleinkindalter kein verringertes Schmerzensgeld.

Grad des Verschuldens aufgrund der vollen Beherrschbarkeit hoch

Mit in die Bemessung des Schmerzensgeldes floss auch, dass der Grad des Verschuldens hier sehr hoch lag. Die richtige Beatmung als Gewährleistung technischer Voraussetzungen für eine Behandlung ohne gesundheitliche Gefahr eines Patienten ist bei der modernen Technik der Beatmungsgeräte heute ein voll beherrschbares Risiko geworden. Eine solche Gefahr kann daher bei sorgfältiger Beachtung aller nötigen Schritte und Hinweise vollkommen ausgeschlossen werden. Somit liegt auf der Hand, dass die Schädigung des Klägers hätte vermieden werden können. Ein vorheriger Funktionstest des Beatmungsgerätes durch das Personal der Beklagten führt nicht zu einer anderen Bewertung.

Angehörige müssen Schmerzensgeld selbst durchsetzen

Allerdings hat das Gericht auch berücksichtigt, dass das Schmerzensgeldes nur für den Geschädigten selbst eine Funktion haben soll, welche seine eigenen Schäden ausgleicht. Daher war der Auffassung des Klägers, dass seine Familie ebenfalls unter der Situation leide, bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nicht zu berücksichtigen. Die Beeinträchtigungen, so schlimm und einschneidend diese auch sein mögen, sind nicht bei dem Schmerzensgeld des Klägers zu berücksichtigen. Etwas Anderes kann dann gelten, wenn die Familie eigene Schmerzensgeld-Ansprüche gegen das beklagte Krankenhaus geltend macht. Im Bereich der Schockschäden hat der BGH zuletzt solche Ansprüche bejaht.

Was der Fachanwalt dazu sagt

Ein kleiner Fehler oder eine kleine Unachtsamkeit führten hier zu großen Folgen. Das Leben und die Gesundheit eines jungen Mannes sind nachhaltig geschädigt und er muss ein Leben als Schwerstpflegefall führen. Hier stellt sich auch wieder die grundlegende Frage, ob das zugesprochene Schmerzensgeld die lebenslange schwere Beeinträchtigung in irgendeiner Form aufwiegen kann. Das Landgericht hat versucht einen solchen Ausgleich zu finden. Dabei hat es bestimmte Faktoren und Umstände benannt, die bei der Bemessung eines Schmerzensgeldes zu berücksichtigen sind: Verschuldensgrad der Verantwortlichen, verhaltene Anerkennung des Schadens durch die Versicherung, Alter des Geschädigten und die Gesundheitsbeeinträchtigungen des Geschädigten.

Haben Sie Fragen zur Bemessung von Schmerzensgeld? Oder zum Schmerzensgeld für Angehörige?

Die richtige Adresse für solche Fragen ist ein Fachanwalt. Rechtsanwalt Jürgen Wahl ist Fachanwalt für Medizinrecht und Fachanwalt für Versicherungsrecht. Er kennt sich im Arzthaftungsrecht bestens aus und sorgt dafür, dass Sie Ihr Recht durchsetzen. Sie erreichen ihn unter der Telefonnummer 069 / 82 37 66 42 oder per E-Mail unter recht@arzthaftung-offenbach.de