Multiorganversagen nach Spritzenabszess: Hausarzt muss 500 000 Euro Schmerzensgeld zahlen

Ein Hausarzt verabreicht einem Patienten mehrere Spritzen gegen Rückenschmerzen, missachtet dabei aber die medizinischen Leitlinien. Die Konsequenzen sind verheerend. Es folgt ein langwieriger Rechtsstreit, an dessen Ende der Mediziner ein extrem hohes Schmerzensgeld bezahlen muss. Wegen seit Jahren bestehender Bandscheibenschäden leidet ein Familienvater immer wieder unter Rückenschmerzen. Er sucht deshalb seinen Hausarzt auf. Um die Beschwerden zu lindern, injiziert dieser seinem Patienten binnen einer Woche viermal sowohl Solu-Decortin als auch Diclofenac in die Gesäßmuskulatur. Wenige Stunden nach der vierten Spritze bricht der Vater dreier minderjähriger Kinder zu Hause zusammen und wird mit Schüttelfrost, Atemnot und Schmerzen in eine Klinik gebrachte. Die Intensivmediziner dort diagnostizieren einen schweren septischen Schock, ausgelöst durch einen sogenannten Spritzenabszess.

Septischer Schock mit fatalen Folgen

Trotz umfassender medizinsicher Betreuung bekommen die Ärzte das septische Infektionsgeschehen nicht mehr in den Griff. Es kommt zu einem multiplen Organversagen. Am Ende ist der Mann dauerhaft körpergelähmt und muss, ohne Aussicht auf Besserung dauerhaft künstlich beatmet werden. Aufgrund seines hoffnungslosen Zustands entscheidet er sich nach einem Jahr des Leidens für einen ärztlich begleiteten Freitod. Die Witwe und ihre Kinder nehmen daraufhin den Hausarzt, der die Spritzen verabreicht hatte, wegen eines Behandlungsfehlers in Anspruch und verlangen Schmerzensgeld – mit Erfolg.

Grober Behandlungsfehler des Hausarztes

Bereits die erste Instanz, das Landgericht Lüneburg wertete die Behandlung als grob fehlerhaft und verurteilte den Hausarzt, 500.000 Euro Schmerzensgeld zu zahlen. Es stützte sich dabei auf die Aussagen eines medizinischen Sachverständigen. Danach widersprach die intramuskuläre Injektion der beiden Präparate sowohl dem fachlichen medizinischen Standard als auch den gängigen Leitempfehlungen. Dem folgte auch die zweite Instanz, das Oberlandesgericht (OLG) Celle und bejahte einen groben Behandlungsfehler des Arztes. Unerheblich sei dabei, ob der Patient vor Verabreichung der Injektionen in diese eingewilligt habe oder nicht. Denn eine kontraindizierte Behandlung lasse sich nie durch eine Einwilligung rechtfertigen. Dass der dramatische Krankheitsverlauf ungewöhnlich und nicht vorhersehbar gewesen sei, stehe der Haftung des Hausarztes ebenfalls nicht entgegen.

Dauer des Leidens vorliegend nicht entscheidend

Auch die Höhe des Schmerzensgeldes hielt das OLG für angemessen. Für dessen Bemessung müsse insbesondere das extreme Leiden des verstorbenen Patienten berücksichtigt werden. Dieser sei sich seiner Beeinträchtigungen bewusst gewesen und habe deshalb in besonderem Maße darunter gelitten. Dass sich sein Leidensprozess über einen Zeitraum von etwas mehr als einem Jahr erstreckt und nicht länger gedauert habe, rechtfertige es nicht, ein geringeres Schmerzensgeld festzusetzen. Der Dauer des Leidens komme für die Bemessung des Schmerzensgeldes vorliegend keine Bedeutung zu, denn dieser habe den Freitod nur gewählt, um sein Leiden zu beenden (OLG Celle, Az. 1 U 71/17).

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