800.000 Euro Schmerzensgeld für 14-jährigen Patienten
Von „amerikanischen Verhältnissen“ ist das Arzthaftungsrecht hierzulande zwar noch weit entfernt. Nun allerdings hat das OLG Oldenburg dem Opfer eines Behandlungsfehlers einen – für deutsche Verhältnisse – absoluten Rekordbetrag zugesprochen.
Schmerzensgeld hat im deutschen Recht zwei unterschiedliche Funktionen: Zum einen soll es den Geschädigten eine gewisse Genugtuung dafür verschaffen, dass der Täter für seine Verfehlung zahlen muss. Zum anderen soll das Geld das Opfer für die erlittenen Beeinträchtigungen entschädigen.
Ob die 800 000 Euro, die das Klinikum Emden an einen heute 14-jährigen Jungen zahlen musste, genügen, um beide Funktionen vollständig zu erfüllen, ist angesichts der dramatischen Umstände des Falles zweifelhaft. Fakt ist jedoch: Das OLG Oldenburg hat im Fall des minderjährigen Patienten eines der höchsten Schmerzensgelder in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland verhängt (OLG Oldenburg, Az.: 5 U 196/19).
Dramatische Fehler des Klinikpersonals
Im konkreten Fall hatte die Mutter ihren damals fünfjährigen Sohn in die Klinik gebracht. Der Junge hatte Schüttelfrost und hohes Fieber und wurde stationär aufgenommen. In der Nacht verschlechterte sich sein Zustand massiv, an seinem Körper bildeten sich dunkle Flecken. Die Mutter, die über den Zustand ihres Sohnes immer besorgter wahr, bat deshalb darum, dass ein Arzt gerufen werde. Das allerdings lehnte der diensthabende Pfleger ab.
Ein Arzt bekam das Kind daher erst bei der morgendlichen Visite zu Gesicht. Zu diesem Zeitpunkt war der Körper des Jungen bereits mit Nekrosen übersäht, was bedeutet, dass ein erheblicher Teil des Gewebes abgestorben war. Auslöser dieser lebensgefährlichen Situation war Blutvergiftung durch Meningokokken.
Mit einer aufwändigen Akutversorgung, die sich über mehrere Wochen hinzog, versuchten die Mediziner der Klinik nun, das Leben des Kindes doch noch zu retten. Der Junge überlebte – allerdings mit schwersten Schädigungen. Er verlor beide Unterschenkel und eine Kniescheibe. Da er aufgrund seines Alters noch wächst, müssen die Stümpfe zudem regelmäßig revidiert werden. Große Teile der Körperoberfläche sind durch die Nekrosen zudem dauerhaft entstellt.
Für Leben gezeichnet
Zudem war sein Leidensweg mit den Behandlungen im Krankenhaus keineswegs abgeschlossen: Wegen seiner Narben musste das Kind dreieinhalb Jahre lang für jeweils 22,5 Stunden pro Tag einen Ganzkörperkompressionsanzug mit Gesichtsmaske tragen – auch in der Schule.
Bereits das Landgericht hatte dem Patenten für sein Leid 800.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen, und auch nach Auffassung des Oberlandesgerichts ist diese Summe angemessen.
Denn bei der Bemessung von Schmerzensgeld sind nicht nur die Schwere der Verletzungen, das Leiden und dessen Dauer sowie die subjektive Wahrnehmung der Beeinträchtigungen für den Verletzten maßgeblich, sondern auch das Ausmaß des Verschuldens des Schädigers.
Im konkreten Fall werde der Patient sein ganzes Leben lang leiden müssen und er erlebe die erlittenen vielfältigen Beeinträchtigungen jeden Tag aufs Neue bewusst. Beides seien maßgebliche Gesichtspunkte bei der Bemessung des Schmerzensgelds. Auch verlasse die Entscheidung nicht den Referenzrahmen der Schmerzensgeldentscheidungen anderer deutscher Gerichte.