Schmerzensgeld nach Behandlungsfehler: Patienten können Genugtuung verlangen

Wenn Ärzte Fehler machen, sind die Folgen oft verheerend. Dennoch können die Entschädigungssummen variieren– je nachdem, ob dem Behandler nur eine Unachtsamkeit oder grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden. In Arzthaftungsprozessen gibt es regelmäßig intensiven Streit um die Höhe des Schmerzensgeldes. Das liegt auch daran, dass das Schmerzensgeld mehrere Funktionen erfüllen muss: Die erste ist die Genugtuungsfunktion. Das Schmerzensgeld soll für die Geschädigten einen (emotionalen) Ausgleich für das schaffen, was der Schädiger ihnen angetan hat. Der zweite Aspekt ist die Ausgleichsfunktion: Bei ihr geht es darum, dem Opfer (oder dessen Erben) einen finanziellen Ausgleich für die erlittenen Schäden zu gewähren. Welche Funktion im Einzelfall überwiegt und welche Auswirkungen dies auf die Höhe des zu zahlenden Betrages hat, beschäftigte vor Kurzem auch den BGH.

2000 Euro oder 30 000 Euro?

Im konkreten Fall ging es um den Fall einer Frau, die aufgrund eines Arztfehlers ihren Mann verloren und die Klinik deshalb auf 30 000 Euro verklagt hatte. Der 71 Jahre alte Patient hatte sich bei Essen verschluckt und war in eine Klinik eingeliefert worden, weil er keine Luft mehr bekam. Eine Röntgenaufnahme, die um 15.07 Uhr angefertigt wurde, zeigte Anzeichen für Herzprobleme. Ein in EKG von 15.33 Uhr enthielt deutliche Hinweise auf einen Herzinfarkt. Dennoch wurde der Mann auf die Normalstation verlegt, wo er um 16.30 Uhr einen Herzstillstand erlitt. Eine Reanimation, eine anschließende Herzkatheter-Untersuchung und das Einsetzen von Stents halfen nur noch kurz: Der Patient starb am nächsten Morgen nach einem erneutem Herzstillstand.

Grobe Fahrlässigkeit des Arztes kann Schmerzensgeld erhöhen

Im Verfahren bejahte das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf zwar einen groben Behandlungsfehler des Arztes: Aus dem EKG habe sich der hochgradige Verdacht auf einen Herzinfarkt ergeben. Bei einer solchen Diagnose müsse man sofort, innerhalb von zehn Minuten, mit der Katheter-Untersuchung beginnen. Dass dies unterblieben sei, habe den Tod des Patienten verursacht. Dennoch sprach das OLG der Witwe nur 2.000 Euro Entschädigung zu. Die Begründung: Das Verschulden des Arztes stehe bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nicht im Vordergrund, so dass ein grober Fehler die Entschädigung nicht erhöhe. Dies gelte auch deshalb, weil Ärzte ihren Patienten in erster Linie helfen wollen und nicht die Absicht haben, sie zu schädigen. Die Witwe wollte das nicht hinnehmen. Sie zog vor den Bundesgerichtshof – und hatte Erfolg (Az. VI ZR 409/19). Der VI. Zivilsenat beanstandete die Berechnung der Entschädigung durch die Vorinstanz: Es sei falsch, in Arzthaftungssachen die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes vollständig auszublenden und nur die erlittenen Schmerzen auszugleichen. Zwar sei es zutreffend, das Ärzte normalerweise ihren Patienten helfen wollen. Dennoch könne das Maß eines Fehlverhaltens bei besonders schwerem Verschulden das Schmerzensgeld beeinflussen. Dies könne „dem Schadensfall sein spezielles Gepräge geben“. Zugleich betonten die Karlsruher Richter jedoch, dass ein grober Behandlungsfehler weder identisch mit grober Fahrlässigkeit sei noch ein Indiz für ihr Vorliegen darstelle. Das OLG Düsseldorf muss den Fall nun erneut entscheiden und gegebenenfalls die Entschädigung für die Witwe erhöhen.

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Wie die Aussichten in Ihrem konkreten Fall stehen, kann ein Rechtsanwalt mit genauen Kenntnissen im Arzthaftungsrecht beurteilen. Rechtsanwalt Jürgen Wahl ist Fachanwalt für Medizinrecht und Fachanwalt für Versicherungsrecht. Sie erreichen ihn unter der Telefonnummer 069 / 82 37 66 42 oder per E-Mail unter recht@arzthaftung-offenbach.de