Arzthaftung: Zinsen für Immobilienkredit als ersatzfähiger Schaden
Wegen Fehlern bei der Schwangerschaftsbetreuung kommt ein Kind mit schwersten Behinderungen zur Welt. Um das passende Wohnumfeld zu schaffen, geben die Eltern ihre Wohnung auf und bauen ein behindertengerechtes Haus. Dafür benötigen sie eine teure Zwischenfinanzierung. Doch wer bezahlt die Extrakosten bei der Bank?
Eigentlich ist das Verfahren Standard. Weil die Ultraschallbilder auf Probleme bei der Entwicklung des Embryo hinweisen, überweist eine Gynäkologen eine Schwangere zu einer gezielten Missbildungsuntersuchung in eine Klinik. Auch hier zeigt sich, dass sich das Kind nicht normal entwickelt. Doch obwohl die Mutter bereits völlig verängstigt ist, forschen die Ärzte weder nach den Ursache für die Wachstumsretardierung noch führen sie weiterführende Untersuchungen. Sowohl eine Fruchtwasseruntersuchung als auch eine Nabelschnurpunktur unterbleiben.
Die Frau bringt daraufhin eine schwerbehinderte Tochter mit Trisomie 18 zur Welt. Das Mädchen stirbt mit drei Jahren. Zeit seines Lebens konnte es weder Oberkörper noch Kopf eigenständig heben, es konnte nicht essen, nicht krabbeln und nicht laufen. Zudem litt es unter massiven, vor allem nachts auftretenden Unruhezuständen.
Dafür bekamen die Eltern in einem ersten Gerichtsverfahren Schadenersatz und Schmerzensgeld zugesprochen (LG Wiesbaden, 7 O 217/00).
Hausbau als Folge der Behinderung
Als die Eltern ihre Wohnsituation an die Behinderung ihrer Tochter anpassen, geht der Rechtsstreit in eine weitere Runde. Bei der Geburt des Kindes wohnte das Paar in einer Eigentumswohnung, die sich nicht behindertengerecht umbauen ließ. Nach zwei Jahren entschlossen sich die Eltern daher, in der unmittelbaren Nachbarschaft ein Hauses zu bauen und im Erdgeschoss ein behindertengerechtes Zimmer mit Badezimmer einzuplanen. Zu diesem Zeitpunkt erwarteten Eheleute ihr zweites Kind.
Den Bau des Hauses finanzierten die beiden über den Verkauf der Wohnung und ein Darlehen. Die erforderliche Zwischenfinanzierungskosten verursachte allerdings Zinskosten in mittlerer fünfstelliger Höhe. Diese Kosten verlangten sie von der Klinik ersetzt.
Die verweigerte die Zahlung und argumentierte: Ein Neubau sei nicht ungewöhnlich und auch bei einem gesunden Kind in Betracht gekommen. Zudem hätten die Eltern den Kauf der Immobilie aufgrund der Familienplanung mit weiteren Kindern sowieso durchgeführt.
Der Fall wurde streitig.
Arzthaftung umfasst auch Zinsschaden bei Zwischenfinanzierung
Das OLG Frankfurt urteilte zugunsten der Eltern (Az. 8 U 181/16). Die Zwischenfinanzierungskosten seien als Folge der fehlerhaften Schwangerschaftsbetreuung von der Klinik zu übernehmen.
Ohne den
Beratungsfehler der Ärzte hätte nach Meinung der Richter kein Bedürfnis für ein behindertengerechtes Hauses bestanden. Hätten die Eltern um die Krankheit ihres Kindes gewusst, hätten sie die erste Schwangerschaft abgebrochen. Unabhängig davon wäre die ursprüngliche Eigentumswohnung für bis zu zwei gesunde Kinder völlig ausreichend gewesen.
Es sei den Eltern allerdings nicht zuzumuten gewesen, ihr behindertes Kind mit dem schweren Behindertenkinderwagens über mehrere Treppenpodeste zu tragen. Auch sei es nachvollziehbar, dass das Paar aus Rücksicht auf die Nachbarn in ein Haus ziehen wollten: Wegen der nächtlichen Unruhezustände ihrer Tochter und der damit einhergehenden erheblichen Geräuschentwicklung waren die Eltern einem starken psychischen Druck ausgesetzt. Die Laute des Mädchens seien nicht mit dem Weinen und Schreien gesunder Kinder vergleichbar. Ob den Nachbarn wegen der Störungen und Beeinträchtigungen ein gerichtlich durchsetzbarer Unterlassungsanspruch zugestanden hätte, sei in diesem Zusammenhang unerheblich.