Arzthaftung wegen fehlerhafter Aufklärung
Zwischen Panikmache und Verharmlosung
Bagatellisiert ein Arzt die Gefahren einer Operation, wenn er im Aufklärungsgespräch zwar auf mögliche Probleme hinweist, aber betont, dass diese „meist nicht zu Dauerschäden“ führen? Das Oberlandesgericht Dresden hat diese Frage nun entschieden – zu Lasten der Patientin.
Wie intensiv muss ein Arzt vor einer Hüft-Arthroskopie über sehr seltene Risiken aufklären? Genügt es, dass er seine Patientin im Vorfeld des Eingriffs darauf hinweist, dass der Einsatz eines sogenannten Traktionsstabes in seltenen Fällen Druckschäden im Genitalbereich verursachen kann, die aber „meist nicht zu Dauerschäden" führen? Oder verharmlost eine solche Darstellung die Risiken, mit der Folge, dass der Operateur für tatsächlich entstandene Druckschaden
Schadenersatz und Schmerzensgeld leisten muss?
Diese Frage hatte vor Kurzem das Oberlandesgericht Dresden zu beantworten (Az. 4 U 209/21)
Im konkreten Fall hatte eine Patientin ihren Operateur verklagt, weil sie nach einer Hüftoperation besagte Druckschäden im Intimbereich erlitten hatte. Einen
Behandlungsfehler konnte das OLG Dresden, wie auch die Vorinstanz nicht erkennen, so dass es nun um die Frage ging, ob der Arzt die Patientin ausreichend über die Risiken des Eingriffs aufgeklärt hatte. Das Gericht kam dabei zu einem eindeutigen Ergebnis und nahm ausführlich zum Umfang der
Aufklärungspflicht Stellung.
Zunächst wertete das Gericht die Inhalte des konkret verwendeten Aufklärungsbogen aus. Darin hieß es unter anderem: „Haut-/Gewebe-/Nervenschäden durch die Lagerung und eingriffsbegleitende Maßnahmen sind selten. Mögliche und unter Umständen dauerhafte Folgen: Schmerzen, Entzündungen, Absterben von Gewebe, Narben sowie Empfindungs-, Funktionsstörungen, Lähmungen. Durch den notwendigen hohen Zug am Bein zur Erweiterung des Hüftgelenkspaltes können im Genitalbereich (Hoden oder Schamlippen) Druckschäden mit Gefühlsstörung und Schwellung eintreten. Sie führen meist nicht zu Dauerschäden“.
Die Patientin hat zudem ausgeführt, dass sie mit dem aufklärenden Arzt sämtliche Punkte im Aufklärungsbogen durchgegangen sei und zu jedem die wichtigsten Hinweise erhalten habe. Wörtlich führte die Frau zudem aus: „Aufgrund meiner Angststörung habe ich alles sehr genau gelesen und nachgefragt. Durch meine Angststörung benötige ich immer eine enorme Sicherheit, prüfe grundsätzlich alles sehr genau und fordere detaillierte Informationen ein.“
Diese Aussagen und die im Aufklärungsbogen dokumentierten Informationen genügten dem Gericht, um einen Aufklärungsfehler zu verneinen. Dazu führte es aus:
Gemäß § 630 e Abs. 1 BGB ist der behandelnde Arzt verpflichtet, seine Patienten über Umstände aufzuklären, die für die Einwilligung in die geplante Behandlung wesentlich sind. Hierzu gehören auch die zu erwartenden Folgen und Risiken der Maßnahme.
Konkret bedeutet das, dass der Patient „im Großen und Ganzen“ wissen muss, worauf er sich einlässt. Er muss also eine allgemeine Vorstellung von der Schwere des Eingriffs und der spezifisch mit ihm verbundenen Risiken haben. Nicht erforderlich ist es hingegen, dem Patienten medizinisches Detailwissen zu vermitteln. Es genügt vielmehr, wenn die Stoßrichtung der Risiken zutreffend dargestellt wird, um dem Patienten eine ergebnisbezogene Entscheidungsgrundlage zu vermitteln.
Wenn Frauen bei besagter OP– wie per Studie nachgewiesen – Labienquetschungen, Hämatome und partielle Einrisse in 21 von 13.154 Fällen erleiden, entspricht das einer Quote von 0,00159 Prozent. Damit kann die im konkreten Fall eingetretene Folge als sehr seltenes Risiko eingestuft werden.
Der Operateur hat mögliche Schädigungen in der Schamgegend ausdrücklich angesprochen und diese zutreffend als „unüblich“ beschrieben. Damit ist er seiner Aufklärungspflicht im „Großen und Ganzen“ nachgekommen.
Haben Sie Fragen zur ärztlichen Aufklärungspflicht und zur Arzthaftung?
Wie die Aussichten dafür im konkreten Fall stehen, kann ein
Rechtsanwalt mit genauen Kenntnissen im Arzthaftungsrecht am besten beurteilen. Rechtsanwalt Jürgen Wahl ist
Fachanwalt für Medizinrecht und Fachanwalt für Versicherungsrecht. Sie erreichen ihn unter der Telefonnummer
069 / 82 37 66 42 oder per E-Mail unter
recht@arzthaftung-offenbach.de