Patientenschutz: Werbung für digitalen Arztbesuch bleibt (vorerst) verboten

Die Politik versucht verzweifelt, die Digitalisierung im Gesundheitswesen voranzutreiben. Doch bis auf Weiteres scheint es dabei zu bleiben. Das Internet ist für Ärzte und Patienten (zumindest rechtlich betrachtet) noch immer Neuland…
In Zeiten, in denen Kontaktbeschränkungen eines der wichtigsten Mittel zur Pandemiebekämpfung sind, boomt (naturgemäß) auch die Telemedizin. Werbung für diese Art der digitalen Arztbesuche ist indes nur in sehr begrenzen Umfang erlaubt. Das hat der Bundesgerichtshof in einem aktuellen Urteil entschieden – und mit dem „Gesundheitsschutz“ argumentiert (Az. I ZR 146/20). Ausgerechnet. Kein anerkannter Standard Im konkreten Fall hatte die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs den privaten Krankenversicherer Ottonova aus München verklagt. Der hatte auf seiner Website mit folgender Aussage geworben: „Erhalte erstmals in Deutschland Diagnosen, Therapieempfehlung und Krankschreibung per App“. Der „digitalen Arztbesuch“ per App sollte dabei bei in der Schweiz ansässigen Ärzten erfolgen. Die Wettbewerbszentrale sah darin einen Verstoß gegen § 9 des Heilmittelwerbegesetzes (HWG). Danach ist die Werbung für ärztlichen Maßnahmen verboten, wenn diese der Erkennung oder Behandlung von Krankheiten dienen aber nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen beruhen. Diesen Verstoß gegen das Werbeverbot für Fernbehandlungen habe die Ottonova zu unterlassen.

Zeiten (und Gesetze) ändern sich

Die Karlsruher Richterinnen und Richter gaben der Klage statt und befanden, dass eine Behandlung die gleichzeitig physische Präsenz von Arzt und Patient erfordere und daher im Rahmen einer Videosprechstunde nicht möglich sei. In dieser Pauschalität lässt sich der Aussagen allerdings nicht mehr zustimmen. Denn § 9 HWG ist inzwischen einen zweiten Satz erweitert worden. Danach gilt das Werbeverbot nicht für Fernbehandlungen, die unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgen, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.

Werbung für allgemeine Fernbehandlung bleibt (vorerst) verboten

Der Senat konstatierte vor diesem Hintergrund denn auch, dass auch Apps unter den Begriff der Medien zu subsumieren seien. Regelungen des Berufsrechts ließen sich in diesem Zusammenhang aber nicht als „allgemein anerkannten fachliche Standards“ qualifizieren. Der Begriff entspräche vielmehr den allgemein anerkannten fachlichen Standards aus § 630 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Dieser regelt Pflichten aus einem medizinischen Behandlungsvertrag. Diesem Verständnis nach können sich die entsprechenden Standards erst im Laufe der Zeit entwickeln, zum Beispiel aus den Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften. Die Krankenversicherung habe aber mit einer „umfassenden ärztlichen Primärversorgung“ samt Diagnose, Therapieempfehlung und Krankschreibung im Wege der Fernbehandlung geworben. Und diese entspreche derzeit eben noch nicht den allgemeinen fachlichen Standards, so der BGH.

Kommentar von Jürgen Wahl, Fachanwalt für Medizinrecht in Offenbach:

Die Entscheidung tut wenig dafür, die Telemedizin und die Digitalisierung des Gesundheitswesens voranzubringen. Der Gesetzgeber ist dazu aufgerufen, systematische Schranken weiter abzubauen, so dass analoge und digitale Versorgungsmethoden sinnvoll ineinandergreifen können.