Neue Rechtsprechung zum Schockschaden: Wer jetzt Schmerzensgeld verlangen kann

Wer unter Schock steht, weil er miterleben musste, wie ein nahestehender Mensch zu Schaden kam, kann nach einer aktuellen Entscheidung einfacher als bisher eine Entschädigung erhalten. Das könnte auch im Arzthaftungsrecht für Bewegung sorgen. Geteiltes Leid ist halbes Leid? Leider nicht immer. Vielfach haben Menschen, die die Verletzung nahestehender Person miterleben müssen, sogar in ähnlichem Ausmaß unter den Folgen zu leiden, wie die Betroffenen selbst. Schadenersatz oder Schmerzensgeld für einen solchen Schockschaden konnten sie bislang allerdings nur innerhalb enger Grenzen beanspruchen. Ein aktuelles Urteil hat des Bundesgerichtshofs ändert das (BGH, Az. VI ZR 168/21). Bislang war Schmerzensgeld wegen eines Schockschaden nur denkbar „bei einer fassbaren psychischen Beeinträchtigung des Geschädigten, die über die gesundheitlichen Probleme hinausgehen, die man beim Tod oder einer schweren Verletzung eines nahen Angehörigen in der Regel erleidet“ (vgl. noch BGH, Az. VI ZR 299/17). Angehörige oder andere Betroffene mussten also nicht nur darlegen, dass das Schicksal einer nahestehenden Person sie psychisch krank gemacht hat, sondern auch noch beweisen, dass ihre Probleme „außerordentlich schwer“ sind.

Psychische und physische Schäden müssen gleichbehandelt werden

Diese strengen Anforderungen sind von Rechtswissenschaftlern immer wieder kritisiert worden, da bei körperlichen und seelischen Schäden mit zweierlei Maß gemessen wurde. Nun hat der BGH reagiert. Zwar bleibt es auch nach der jüngsten Entscheidung dabei, dass die psychische Beeinträchtigung durch den Schock pathologisch fassbar sein und damit einen Krankheitswert aufweisen muss. Um Schmerzensgeld verlangen zu können, ist es nun aber nicht mehr erforderlich, dass die Störung auch noch ein außergewöhnliches Ausmaß erreicht. Stattdessen genügen nun typische psychische Erschütterungen wie Trauer oder seelischer Schmerz nach einem prägenden Schadenereignis.

Weitergehende Haftung als bisher

Im konkreten Fall hatte ein Mann Schadensersatz für von ihm erlittene psychische Beeinträchtigungen verlangt. Diese führte er auf den sexuellen Missbrauch seiner Tochter im Alter von fünf und sechs Jahren durch einen Dritten zurück. Während der Ermittlungen, aber auch während des Gerichtsverfahrens, das zur Verurteilung des Täters führte, habe er sich mit nichts anderem als dem Schicksal seines Kindes beschäftigen können. In seiner Grundsatzentscheidung entschied der BGH nun, dass die Haftung für Schockschäden weiter gehen müsse als bisher. Stehe fest, dass ein Vorfall bei einer nahestehenden Person eine pathologisch fassbare psychische Störung verursacht habe, liege unabhängig von der Schwere der Erkrankung eine (ersatzfähige) Gesundheitsverletzung vor.

Kommentar von Jürgen Wahl, Rechtsanwalt für Arzthaftung:

Die Entscheidung des BGH ist erfreulich. In Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung verlangt Karlsruhe nun nicht mehr, dass Angehörige bei einem Schockschaden stärker beeinträchtigt sein müssen, als dies beim Tod oder Verletzung einer nahestehenden Person typischerweise zu erwarten ist. Das stärkt die Rechte der Betroffenen, auch und gerade im Bereich der Arzthaftung. Dennoch müssen (mittelbar) Geschädigte die Ursache und das Vorliegen einer seelischen Erkrankung nach wie vor beweisen, um Schmerzensgeld zu bekommen. Ein erfahrener Fachanwalt für Medizinrecht kann Betroffenen helfen, ihre Rechte schnell und effektiv durchzusetzen.

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Wie die Aussichten in Ihrem konkreten Fall stehen, kann ein Rechtsanwalt mit genauen Kenntnissen im Arzthaftungsrecht beurteilen. Rechtsanwalt Jürgen Wahl ist Fachanwalt für Medizinrecht und Fachanwalt für Versicherungsrecht. Sie erreichen ihn unter der Telefonnummer 069 / 82 37 66 42 oder per E-Mail unter recht@arzthaftung-offenbach.de