Falsche Diagnose? Wann haftet der Arzt?

Irren ist bekanntlich menschlich, und Ärzte sind nur Menschen. Deshalb kann auch dem besten Arzt einmal ein Diagnosefehler unterlaufen. Für den Patienten kann eine falsche Diagnose allerdings gravierende Folgen haben. Dann stellt sich die Frage nach der Schadenersatzpflicht.

Fall aus der Praxis: Arzt erkennt Krankheit nicht, schwere Folgeschäden

Einen solchen Fall hatte vor kurzem das Oberlandesgericht Frankfurt am Main zu entscheiden (OLG Frankfurt, 21.03.2017 – 8 U 228/11). Die Klägerin war länger in Südafrika unterwegs gewesen. Eine Malariaprophylaxe hatte sie nicht vorgenommen. Als sie nach ihrer Rückkehr und anhaltenden Durchfall und Fieber bekam, rief sie einen Arzt. Der behandelte zwar die Durchfallerkrankung. Dass die Patientin Malaria hatte, wurde von ihm aufgrund eines Diagnosefehlers jedoch nicht erkannt. So kam es zu einem Hirnödem mit Folgeschäden. Der Arzt wurde zur Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie zu weiterem Schadenersatz verurteilt.

Diagnosefehler, Schadenersatz und Schmerzensgeld

Ein Diagnoseirrtum fällt unter die ärztlichen Behandlungsfehler. Wird ein Patient durch einen solchen Fehler geschädigt, stehen Ansprüche gegen den Arzt im Raum. Allerdings ergibt sich nicht aus jeder falschen Diagnose zwangsläufig ein Schadenersatz- und Schmerzensgeldanspruch des Patienten. Es kommt auf die Umstände des Falls an. Wir kennen es alle aus eigener Erfahrung: Nicht immer sind die Symptome einer Erkrankung eindeutig.
  • Ein Diagnoseirrtum ist eine Diagnose, die nicht vollständig oder nicht zutreffend ist. Über die Verantwortlichkeit ist damit noch nichts gesagt.
  • Ein Diagnosefehler liegt vor, wenn der Diagnoseirrtum darauf beruht, dass der Arzt– wie in unserem Beispielsfall oben – eine Erkrankung oder Verletzung schuldhaft nicht erkannt hat.
Von einem vorwerfbaren Diagnosefehler kann man nur dann ausgehen, wenn die Diagnose im konkreten Fall nicht mehr vertretbar ist. So war es in dem erwähnten Fall: Der später beklagte Arzt hätte eine Malaria als Ursache in Erwägung ziehen müssen, zumal ihm die Patientin gesagt hatte, dass sie eine gewisse Zeit in Asien gelebt und zuletzt eine Afrikareise unternommen hatte. Deshalb kamen die Richter des OLG zum Ergebnis, dass nicht nur ein Diagnoseirrtum vorlag – der wäre für den Arzt folgenlos geblieben. Die Richter sahen aber einen vorwerfbaren Diagnosefehler.

Diagnosefehler und Befunderhebungsmangel

Ein Diagnosefehler kann zum einen daran liegen, dass der Arzt zwar Befunde erhoben, diese aber falsch interpretiert hat. Ärzte sind dazu verpflichtet, bei der Diagnostik alle ihnen zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen zu nutzen. Der Arzt hat also die notwendigen Informationen über den Zustand des Patienten, zieht aber die falschen Schlüsse. Verfügt ein Arzt nicht über die entsprechenden Kenntnisse, muss er den Patienten an einen Facharzt zu überweisen oder in ein Krankenhaus einweisen. Das ist seine Pflicht. Umgekehrt ist auch denkbar, dass der Arzt bestimmte diagnostische Maßnahmen unterlassen hat, die eigentlich angebracht gewesen wären und aller Voraussicht nach zur richtigen Diagnose geführt hätten. In diesem Fall liegt der Fehler daran, dass der Arzt nicht die richtigen oder nicht alle gebotenen Mittel eingesetzt hat, um Informationen über den Zustand des Patienten zu gewinnen. Erkennt er aufgrund eines solchen Versäumnisses nicht, welche Erkrankung oder Verletzung tatsächlich vorliegt, ist dies der klassischer Fall eines Befunderhebungsmangels.

Arzthaftung: Zwei rechtliche Hürden

  • Die erste Hürde auf dem Weg des Patienten zu Schadenersatz und Schmerzensgeld ist die Frage, ob die falsche Diagnose ein entschuldbarer Diagnoseirrtum oder ein Diagnosefehler war, für den der Arzt haftet. Der Fehler bei der Interpretation von Krankheitssymptomen stellt nur dann einen erheblichen Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst dar, wenn die vorliegenden Symptome für eine bestimmte Krankheit kennzeichnend sind, aber von dem Arzt nicht ausreichend berücksichtigt worden sind.
  • Die zweite Hürde, die der Patient auf dem Weg zum Schadensersatz und zum Schmerzensgeld nehmen muss, ist die Beweislast. Grundsätzlich muss der Patient nämlich belegen, dass erstens tatsächlich ein Behandlungsfehler vorliegt und zweitens dieser Behandlungsfehler die Ursache für den bei ihm eingetretenen Schaden war.Allerdings gibt es hier einen wichtigen Unterschied –die Differenzierung zwischen „einfachem“ und „grobem“ Behandlungsfehler. Wenn es sich um einen groben Behandlungsfehler handelt, profitiert der Patient von einer Beweislastumkehr bzw. von Beweiserleichterungen. Die Unterscheidung zwischen einfachen und groben Behandlungsfehlern ist allerdings nicht weniger komplex als die Unterscheidung zwischen folgenlosem Diagnoseirrtum und dem für den Arzt folgenschweren Diagnosefehler.

Fazit: Ihr Rechtsanwalt sollte sich mit Arzthaftung genau auskennen

Viele Patienten versuchen erst gar nicht, Schadenersatz und Schmerzensgeld zu bekommen, selbst wenn alles auf einen echten, schuldhaften Diagnosefehler des Arztes hindeutet. Zu solcher Resignation besteht kein Grund. Wenn ein echter Behandlungsfehler vorliegt und nachweisbar ist, stehen die Chancen vor Gericht sehr gut. Es ist auch im Übrigen nicht der Arzt persönlich, der die Ansprüche des Patienten begleichen muss – dafür ist die Berufshaftpflichtversicherung zuständig, die jeder praktizierende Arzt in Deutschland besitzen muss. Nur ein Anwalt kann beurteilen, wie die Aussichten im konkreten Fall stehen. Allerdings ist dafür ein Rechtsanwalt nötig, der das Arzthaftungsrecht genau kennt. Dieses Rechtsgebiet ist nicht dafür geeignet, nur selten, gelegentlich und nebenbei bearbeitet zu werden, denn es erfordert genaue Fachkenntnisse und Erfahrung. Rechtsanwalt Jürgen Wahl ist Fachanwalt für Medizinrecht  und Fachanwalt für Versicherungsrecht. Sie erreichen ihn unter der Telefonnummer 069 / 82 37 66 42 oder per E-Mail unter recht@arzthaftung-offenbach.de