Veraltete Software: Ärztin haftet wegen mangelhafter Dokumentation

Lassen sich nachträgliche Änderungen in der ärztlichen Dokumentation technisch nicht kenntlich machen, sind die Aufzeichnungen so gut wie wertlos – und erleichtern es dem Patienten, Schadenersatzansprüche durchzusetzen.
Wer plötzlich Sehstörungen hat, ist zu Recht beunruhigt und sollte zeitnah einen Arzt aufsuchen. Das tat auch der Patient, dessen Fall vor Kurzem den Bundesgerichtshof (BGH) beschäftigte. Er hatte Ende 2013 seine Augenärztin konsultiert, weil er auf dem linken Augen unvermittelt schwarze Flecken sah. Im Vorfeld des Termins hatte man den Mann darauf hingewiesen, er möge eine Fahrbegleitung mitbringen, da die Ärztin eine Untersuchung unter Pupillenerweiterung plane. Ob es tatsächlich zu einer solchen Untersuchung kam, wurde später Gegenstand des Rechtsstreits. Fest steht allein, dass die Ärztin den Mann untersuchte, während ihr Kind in der Praxis anwesend war. Die Medizinerin kam zu dem Schluss, dass die Sehstörungen eine altersbedingte Erscheinung seien und auf eine Glaskörpertrübung zurückgingen. Entsprechend wurde der Mann auch nicht nochmal einbestellt. Umso erstaunter war der Patient, als sein Augenoptiker wenige Monate später im Rahmen eines Sehtests einen Netzhautriss feststellte. Diese Information führte den Mann erneut in die Praxis seiner Augenärztin, die diesmal eine Netzhautablösung diagnostizierte und den Mann anwies, sich sofort im Krankenhaus vorzustellen. Dort erfolgte wenig später eine Operation am Auge, in deren Folge es Komplikationen gab. Seitdem ist der Patient auf dem linken Auge blind.

Beweisregeln bei Behandlungsfehlern

Im Nachgang der tragischen Entwicklungen verklagte der Mann seine Ärztin auf Schadenersatz. Sie habe es versäumt, bei der ersten Untersuchung des Augenhintergrundes die angekündigte Pupillenweitstellung zu veranlassen. Daher sei eine ordnungsgemäße Untersuchung nicht möglich gewesen. Zudem sei die Ärztin durch ihren während der Untersuchung im Behandlungszimmer spielenden Sohn abgelenkt gewesen, der ihr Bilder gezeigt und sie während der Behandlung angesprochen habe.

Beweiswürdigung bei elektronischen Dokumentationsverfahren

In den ersten beiden Instanzen konnte sich der Kläger mit seinem Ansinnen nicht durchsetzen. Vor dem BGH erzielte er nun jedoch zumindest einen Teil-Erfolg (VI ZR 84/19). Zwar verneinte auch der BGH das Vorliegen eines Behandlungsfehlers. Allerdings sei der Ärztin ein Fehler bei der Befundung vorzuwerfen. Da die Frau für die Behandlungsdokumentation eine veraltete Software verwendet habe, bei der man Aufzeichnungen unerkannt im Nachhinein ergänzen und korrigieren könne, komme ihrer Dokumentation nur noch ein eingeschränkter Beweiswert zu. Deshalb könne man nicht davon ausgehen, dass die dort vermerkte Pupillenerweiterung tatsächlich erfolgt sei. Hintergrund: Seit Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes sind Ärzte verpflichtet, ihre Behandlung so zu dokumentieren, dass nachträgliche Änderungen erkennbar sind. Praxisinhaber und Ärzte, die gegen diese Vorgabe verstoßen, können nach Meinung des BGH nicht mehr die positive Indizwirkung für die Richtigkeit und Vollständigkeit ihrer Dokumentation in Anspruch nehmen. Entsprechend hat der BGH das Urteil der Vorinstanz aufgehoben und das Verfahren an diese zurückverwiesen.