Patientin nach OP querschnittsgelähmt, weil Arzt alkoholkrank war: 250.000 Euro Schmerzensgeld

Nach einer unnötigen und falsch durchgeführten Wirbelsäulen-OP ist eine Patientin querschnittsgelähmt. Obwohl das Krankenhaus von der Alkoholerkrankung des Operateurs wusste, unternahm man nichts. Das LG Münster, Az. 111 O 25/14, sprach der Patientin 250.000 Schmerzensgeld zu.

Unnötige Wirbelsäulen OP wird behandlungsfehlerhaft durchgeführt – Der Sachverhalt

Wegen andauernder Nackenschmerzen, Kopfschmerzen und Armschmerzen, die bis in den Oberarm bzw. in die Schulter hinein strahlten (sog. Zerviko-Zephalgien), war eine Patientin bereits seit 2003 in ärztlicher Behandlung, u.a. bei einem Wirbelsäulenzentrum. Der Belegarzt, bei dem die Patientin 2011 vorstellig wurde, diagnostizierte mehrere Bandscheibenvorfälle im Bereich der Halswirbelsäule (C5 bis C7) mit Zerviko-Brachialgien. Er riet bzw. drängte die Patientin zu einer Operation.

Belegarzt durchtrennt fast Rückenmark

Der Eingriff wurde im Februar 2011 durchgeführt. Nachdem die Patientin aus der Narkose aufwachte, konnte sie sich nicht mehr bewegen. Sie wurde dann in eine Universitätsklinik verlegt. Dort wurde festgestellt, dass bei dem Eingriff das Rückenmarkt fast durchtrennt wurde und die Patientin eine Verletzung des Kehlkopfes erlitt. Sie befand sich nach der Entlassung etwa drei Monate in stationärer Reha. Kurz nach der Operation brach der Belegarzt zusammen und wurde auf der neurologischen Station des Krankenhauses behandelt. Sein Blutalkoholwert (BAK) lag zur Zeit der Aufnahme bei 2,8 Promille.

Patientin hat schwerste Schädigungen

Noch heute kann sich die Patientin nicht ohne Hilfe eines Rollstuhls fortbewegen, leidet rechtsseitig an spastischen Lähmungen, ist mit einem Grad von 80 als schwerbehindert eingestuft und in Pflegestufe 2. Die Fähigkeit zu sprechen ist eingeschränkt und sie hat Probleme bei dem Toilettengang. Sie wirft dem Belegarzt vor, dass er aufgrund der Alkoholerkrankung fachlich weder in der Lage war die Indikation für den Eingriff festzustellen, noch, dass er diesen Eingriff fachlich hätte durchführen können. Hinsichtlich der Indikation habe der Belegarzt diese als absolut notwendig und dringlich beschrieben und bei der Aufklärung nicht über Alternativen oder die nur relative Indikation aufgeklärt.

Klinikleitung wusste über Alkoholkrankheit des Belegarztes

Die Patientin wirft aber auch der Klinik, in dem der Belegarzt tätig war, eine Mitschuld vor, da dort der Umstand der Alkoholerkrankung bekannt war. Der Klinikleitung war bekannt, dass der Belegarzt 2008 und 2009 wegen der Alkoholerkrankung bereits zweimal stationär behandelt wurde. 2011 wurden im Vorfeld der streitgegenständlichen Operation auch vom Pflegepersonal und den angestellten Ärzten gewisse Vorkommnisse gemeldet, wie z.B. Alkoholgeruch, Einschränkungen der sozialen und fachlichen Kompetenz, sowie Unsicherheiten beim Gehen.

Klägerin forderte für die gesundheitlichen Einschränkungen 200.000 Euro Schmerzensgeld

In dem Prozess vor dem Landgericht Münster forderte die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 200.000 Euro. Für den entstandenen Gesundheitsschaden haften der Belegarzt bzw. dessen Erben, da er bereits verstorben ist, und das Krankenhaus gemeinsam. Das Landgericht sprach in seinem Urteil, Az. 111 O 25/14, der Klägerin ein Schmerzensgeld von 250.000 Euro zu.

Exkurs: Wie ist die Stellung eines Belegarztes im Krankenhaus?

Der Belegarzt ist kein Mitarbeiter eines Krankenhauses. Er ist zumeist ein niedergelassener Arzt, in diesem Fall Neurochirurg, der lediglich Patienten in seinen Belegbetten behandelt. Dafür nutzt ein Belegarzt die Infrastruktur des Krankenhauses. Eine Vergütung durch das Krankenhaus erfolgt nicht. Daher ist es auch zumeist der Belegarzt, der für Aufklärungs- und Behandlungsfehlern haftbar ist und nicht etwa das Krankenhaus. Allerdings hätte das Krankenhaus den Warnungen des Personals und den Umständen der Behandlungen des Belegarztes mehr Berücksichtigung schenken müssen. Aufgrund solcher Organisationsverschulden kommen auch gegen Krankenhäuser Haftungsklagen in Frage.

Belegarzt sah falsche Indikation, machte Fehler bei der Aufklärung und leistete sich Behandlungsfehler

Das Landgericht sah es als erwiesen an, dass der Belegarzt die Klägerin falsch bzw. nicht vollständig aufgeklärt hat. Die Indikation war allenfalls nur relativ. Über diesen Umstand und die alternativen Behandlungsmethoden hat der Belegarzt rechtsfehlerhaft nicht aufgeklärt. Dringlich oder alternativlos war die Operation in jedem Fall nicht, da nicht feststeht, dass eine Besserung eingetreten wäre. Außerdem standen mit einer konservativen Therapie in Kombination mit einer Schmerztherapie Alternativen zur Verfügung. Hinsichtlich des Behandlungsfehler war das Landgericht davon überzeugt, dass der Belegarzt das Rückenmark der Klägerin während des Eingriff geschädigt hat.

Krankenhaus hat Schutzpflichten eklatant verletzt

Dadurch, dass die Leitung des Krankenhauses um die Alkoholkrankheit des Belegarztes wusste, hätte man gegen eine weitere Tätigkeit des Belegarztes intervenieren müssen. Krankenhäuser sind zu einer sachgerechten Organisation, Koordination und Überwachung der Behandlungsabläufe verpflichtet. Aus dieser Verpflichtung und den bekannten Umständen hat das Landgericht geschlossen, dass keine belegärztliche Behandlung durch den Belegarzt hätte mehr stattfinden dürfen. Gerade weil das Krankenhaus aber seinen Schutzpflichten nicht nachgekommen ist, konnte der Belegarzt weiter behandeln. Schon nach den ersten Vorkommnissen und stationären Behandlungen des Belegarztes 2008 und 2009 hätte die Zusammenarbeit mit dem Belegarzt beendet werden müssen.

Was der Fachanwalt dazu sagt

Die Klägerin wurde durch die falsche Behandlung und die falsche Aufklärung des Belegarztes gleich doppelt geschädigt. Hätte dieser die Diagnose richtig festgestellt und die Klägerin richtig aufgeklärt, hätte die Operation wahrscheinlich gar nicht stattgefunden. Dass dem Belegarzt dann bei einer völlig unnötigen und nicht wirksamen Operation auch noch ein so eklatanter Fehler am Rückenmark passiert, kommt nur sehr selten vor. Hier hätte die Klinik, der der Umstand der Alkoholkrankheit des Belegarztes lange bekannt war, handeln müssen. Nur weil man froh war die lange Zeit vakante Stelle eines Neurochirurgen mit dem Belegarzt besetzen zu können, scheute man sich wohl davor den Belegarztvertrag zu kündigen. Für die Klägerin hat sich so ihr ganzes Leben verändert, deshalb trägt auch das Krankenhaus eine Mitschuld an dem Verlauf.

Haben Sie Fragen zur Bemessung von Schmerzensgeld? Oder zu Behandlungsfehlern?

Die richtige Adresse für solche Fragen ist ein Fachanwalt. Rechtsanwalt Jürgen Wahl ist Fachanwalt für Medizinrecht und Fachanwalt für Versicherungsrecht. Er kennt sich im Arzthaftungsrecht bestens aus und sorgt dafür, dass Sie Ihr Recht durchsetzen. Sie erreichen ihn unter der Telefonnummer 069 / 82 37 66 42 oder per E-Mail unter recht@arzthaftung-offenbach.de