Diagnosefehler: Wie lässt sich ein ungünstiges Sachverständigengutachten entkräften?

Zwei Experten, drei Meinungen: Diese Redensart hat auch im Arzthaftungsprozess ihre Berechtigung. Doch was müssen Patienten tun, um ein Sachverständigengutachten zu ihren Lasten erfolgreich anzuzweifeln? Erleidet ein Mensch einen Schlaganfall, zählt jede Minute, um bleibende Schäden zu verhindern. Bei einer sogenannten transitorischen ischämischen Attacke (TIA) sind die Symptome zwar mit denen eines Schlaganfalles vergleichbar. Im Gegensatz zu einem echten Apoplex, bei dem die Ausfälle länger anhalten und oft bleibende Schäden verursachen, sind die Symptome einer TIA vorübergehend. Meist klingen sie nach ein paar Minuten vollständig und ohne Nachwirkungen ab. Um festzustellen, welches neurologische Problem im konkreten Fall besteht, müssen Ärzte per Bildgebung feststellen, ob es Anzeichen auf eine Hirnblutung gibt. In diesem Fall ist von einem Schlaganfall auszugehen, der weitere Maßnahmen erfordert. Doch was gilt, wenn über die Art der Befunderhebung und die Diagnose Streit entsteht? So war es bei einer Patientin, mit deren Fall sich vor Kurzem das Oberlandesgericht (OLG) Dresden auseinandersetzen musste.

Wenn zusätzliche Beweise erforderlich sind

Entscheidend in dem Verfahren war die sogenannte „ergänzende Beweisaufnahme“. Darunter versteht man zusätzliche Untersuchungsmaßnahmen, die ein Gericht anordnen kann, um – in Zweifelsfällen – weitere entscheidungsrelevante Beweise zu erheben. Normalerweise findet eine solches Verfahren statt, wenn das Gericht die bisher vorgelegten Beweise nicht für ausreichend hält, um eine fundierte Entscheidung zu treffen, oder wenn es neue Informationen bzw. Beweise gibt, die eine weitere Untersuchung rechtfertigen. Im konkreten Fall war die Patientin, die wegen neurologischer Ausfälle ins Krankenhaus gekommen war, nicht mit der dort gestellten Diagnose (TIA) einverstanden. Ein Gutachter hatte in erster Instanz zwar ausgeführt, dass „korrekt“, zumindest aber „gut vertretbar“ war, weil es zunächst keine Hinweise Hirnblutung gegeben habe, so dass über die erhobenen Befunde hinaus keine weitere Befunderhebung geboten gewesen sei.

Eine abweichende Meinung alleine genügt nicht für eine ergänzende Beweisaufnahme

Hiergegen ging die Patientin in der zweiten Instanz vor und erhob den Vorwurf, der Sachverständige habe die maßgebliche medizinische Leitlinie nicht beachtet, die eine sofortige und umfassende Abklärung der Ursachen eines Schlaganfalls fordere. Ihre vom Sachverständigengutachten abweichende Ansicht, die Ärzte hätten in ihrem Fall nicht alle gebotenen Befunderhebungen durchgeführt, stützte die Frau allerdings nicht auf eine ergänzende sachverständige Begutachtung. Auch zeigte sie nicht auf, welche weiteren Befunderhebungen abweichend von den sachverständigen Feststellungen konkret geboten gewesen sein sollen. Die Lektüre der von ihrer zitierten Leitlinie ergab ebenfalls kein anderes Bild. Vielmehr verwies die Frau zur Untermauerung ihrer Anschuldigungen vor allem auf eine SMS-Kommunikation zwischen den Ärzten. Das jedoch genügte dem Senat nicht (OLG Dresden: Az. 4 U 466/22). Wörtlich heißt es im Beschluss des OLG: „Für konkrete Anhaltspunkte, die in einem Arzthaftungsprozess an der erstinstanzlichen Beweiswürdigung begründen können, genügt es jedoch nicht, wenn die Klagepartei – wie hier – der medizinisch begründeten Auffassung eines erstinstanzlich bestellten Gerichtssachverständigen lediglich ihre eigene entgegenstellt. Erforderlich ist vielmehr, dass sie entweder ein Privatgutachten vorlegt, zumindest aber selbst medizinische Fundstellen (...) benennt, die für ihre Behauptung streiten. Wird ein solches Privatgutachten nicht vorgelegt und fehlt es auch im Übrigen an Anhaltspunkten dafür, dass das Gutachten in sich widersprüchlich oder der Sachverständige erkennbar nicht sachkundig ist, kommt eine Wiederholung der Beweisaufnahme nicht in Betracht.“

Kommentar von Jürgen Wahl, Fachanwalt für Medizinrecht in Offenbach:

Der Fall verdeutlicht die großen Herausforderungen in einem Arzthaftungsprozess, in dem es nicht alleine um medizinische Fakten geht, sondern auch deren rechtliche Interpretation.  Patienten, die Zweifel an den Darstellungen eines Gutachters haben, sollten sich daher unbedingt von einem Fachanwalt für Medizinrecht vertreten lassen, um Ihre Rechte durchzusetzen.

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Wie die Aussichten in Ihrem konkreten Fall stehen, kann ein Rechtsanwalt mit genauen Kenntnissen im Arzthaftungsrecht beurteilen. Rechtsanwalt Jürgen Wahl ist Fachanwalt für Medizinrecht in Offenbach und Fachanwalt für Versicherungsrecht. Anwalt Arzthaftung: Sie erreichen ihn unter der Telefonnummer 069 / 82 37 66 42 oder per E-Mail unter recht@arzthaftung-offenbach.de