Schmerzensgeld wegen Geburtsschaden durch Fehler bei Geburtsleitung

Eine Frau, deren erstes Kind nach einem Geburtsstillstand per Notkaiserschnitt zur Welt kam, ist zum zweiten Mal schwanger. Die Schwangerschaft verläuft beschwerdefrei. Nach Einsetzen der Wehen kommt die Frau in den Kreißsaal. Die diensthabende Ärztin öffnet wegen der Fruchtblase mechanisch. Da das abgehende Fruchtwasser grün gefärbt ist, erhebt sich die Frage nach einem Kaiserschnitt. Die Ärztin stellt in Aussicht, die Entscheidung, je nach Befund, innerhalb der nächsten Stunde zu treffen. 20 Minuten später geht nochmal grünes Fruchtwasser ab. Weitere 20 Minuten später bittet die Schwangere um einen Kaiserschnitt. Inzwischen klagt sie über starke Schmerzen oberhalb der Schambeinfuge. Da auch die Werte der Kardiotokographie (CTG) für eine Sectio sprechen, entscheidet die Ärztin, einen Kaiserschnitt durchzuführen. Sie verabreichte der Mutter Wehenhemmer und klärt die Frau über die Risiken auf.

Wie viel Überwachung braucht es während eines Notfall-Kaiserschnitts?

Eine weitere halbe Stunde später wird das CTG-Gerät entfernt und die Mutter in den Operationssaal gefahren. Nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen, eine Spinalanästhesie anzubringen, leitet das Persona erst etwa 35 Minuten später wieder kindliche Herztöne ab. Da diese deutlich verlangsamt sind, leitet der Anästhesist eine Vollnarkose ein und die OP beginnt. Zu diesem Zeitpunkt hat die Mutter bereits eine Uterusruptur im Bereich der (alten) Sectio-Narbe erlitten, es befinden sich ca. 500 ml Blut im Bauchraum. Zudem liegt Plazenta komplett gelöst im Uterus. Das Baby, dass bei Eröffnung des Bauchs der Mutter in deren Bauchhöhle liegt, ist leblos und muss zehn Minuten lang reanimiert werden. Das Mädchen überlebt, trägt aber schwerste Schäden davon.

CTG auch während des Kaiserschnitts?

In einem Verfahren dem Oberlandesgericht (OLG) Bamberg ging es nun um die Frage, ob und in welcher Höhe das Kind Schmerzensgeld für den Geburtsschaden verlangen kann, weil während des ärztlich angeordneten Kaiserschnitts keine CTG-Überwachung mehr erfolgte, obwohl diese den eingetretenen Gesundheitsschäden hätte verhindern können. Das Krankenhaus argumentierte, die Uterusruptur sei nicht vorhersehbar gewesen, da sie erst zu einem sehr späten Geburtszeitpunkt eingetreten sei. Die Eltern hielten dagegen – und hatten in der zweiten Instanz auch Erfolg (OLG Bamberg, Az.  4 U 16/20). Der Senat bejahte einen Behandlungsfehler in Form eines Befunderhebungsfehlers und stellte fest, dass dieser für die Uterusruptur mit Plazentalösung sowie für die vorgeburtlich eingetretene Schädigung des Kindes kausal war. Mit hinreichender Wahrscheinlichkeit, so der Senat weiter, wäre bei gebotener Befunderhebung ein so deutlicher und gravierender Befund erhoben worden, dass sich dessen Verkennung als grob fehlerhaft dargestellt hätte.

Das subjektive empfundene Leid entscheidet (mit) über die Höhe des Schmerzensgeldes

Der aufgrund der Versäumnisse im OP bei dem Mädchen entstandene Schaden ist immens. Nach wie vor leidet es an einer leichten geistigen Behinderung mit ausgeprägten körperlichen Auswirkungen. Sprechen und Essen fallen ihr schwer. Die heute 16-jährige ist inkontinent, auf eine ständige Windelversorgung angewiesen und geistig auf dem Niveau eines Zweitklässers. Ihre soziale Akzeptanz ist problematisch, gleichwohl empfindet sie als durchschnittlich beschriebene Lebensqualität und zeigt eine gute Akzeptanz ihrer Erkrankung. Der Senat geht allerdings jedoch davon aus, dass es während der Pubertät zu deutlichen psychischen und auch körperlichen Verschlechterungen kommen könne. Vor diesem Hintergrund sprach er dem Mädchen ein Gesamtschmerzensgeld von 420.480,80 Euro zu.

Kommentar von Jürgen Wahl, Fachanwalt für Medizinrecht:

Ob einer schwer geschädigten Person mit überwiegend erhaltenen kognitiven Fähigkeiten mehr oder weniger Schmerzensgeld zusteht, als einem Menschen, der seine Situation nicht einschätzen kann, stellt Gerichte immer wieder vor Probleme. Dennoch zeigt die Entscheidung, wie wichtig die subjektive Empfindungsfähigkeit des Geschädigten in diesem Zusammenhang sein kann – auch wenn jeder Einzelfall gesondert zu bewerten ist. Damit Betroffene die Weichen von Anfang an richtig stellen, lohnt es sich, einen erfahrenen Anwalt für Behandlungsfehler als Rechtsbeistand hinzuzuziehen.

Haben Sie Fragen an einen Anwalt für Behandlungsfehler?

Wie die Aussichten in Ihrem konkreten Fall stehen, kann ein Rechtsanwalt mit genauen Kenntnissen im Arzthaftungsrecht beurteilen. Rechtsanwalt Jürgen Wahl ist Fachanwalt für Medizinrecht und Fachanwalt für Versicherungsrecht. Anwalt Arzthaftung: Sie erreichen ihn unter der Telefonnummer 069 / 82 37 66 42 oder per E-Mail unter recht@arzthaftung-offenbach.de