Schmerzensgeld bei schwerstem Geburtsschaden mit erhaltenen kognitiven Fähigkeiten
Es war ein besonders tragischer Fall, mit dem sich das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg vor Kurzem beschäftigen musste. Im Raum stand die Frage, inwieweit das (nicht) medizinische Personal eines Krankenhauses bei einer Geburt gegen medizinische Standards verstoßen hat. Und wie der Klinikträger für die schweren Schäden des Kindes haften muss.
Im konkreten Fall verlangte die Mutter des schwerstbehindert geborenen Jungen Schadenersatz und Schmerzensgeld, unter anderem, weil die Hebamme trotz eines auffälligen CTG keinen Arzt gerufen hatte. Zudem habe sie es versäumt, die Herztöne des Kindes konstant zu überwachen.
Der Senta folgte dieser Argumentation und bewertete das Verhalten der Hebamme als „unverständlich“. Sie sei verpflichtet gewesen, während der Austreibungsphase einen Facharzt hinzuzuziehen, da das CTG zu diesem Zeitpunkt bereits problematische Veränderungen der kindlichen Herzfrequenz zeigte, später sogar mit Zunahme des prognostischen Schweregrades.
Auch, dass die Hebamme vor diesem Hintergrund keine konstante Überwachung der Herzfrequenz veranlasst hatte, bewerteten der Sachverständigen und das Gericht als nicht standardgerecht und grob behandlungsfehlerhaft.
Wissen um die eigene Behinderung erhöht das Schmerzensgeld
Auch die Folgen dieser Fehler waren schwerwiegend. Das Kind kam aufgrund des Sauerstoffmangels mit einem schwersten Hirnschaden zur Welt.
Bis heute braucht der Junge Hilfsmittel beim Sitzen, Stehen und bei jeder Bewegung. Er muss nachts mehrfach umgelagert werden mindestens ein bis zwei Liter Sauerstoff erhalten. Wegen zahlreicher schwerer Bronchitiden und Pneumonien hat er bereits zahlreiche Klinikaufenthalte hinter such. Zudem leidet er unter häufiger Übelkeit und wiederholtem, oft heftigem Erbrechen.
Der Junge ist stets – auch in der Schule – auf die Hilfe von mindestens einer Pflegekraft angewiesen. Dabei weist er keine schweren kognitiven Einschränkungen auf und weiß um seine Beeinträchtigungen. Er kann mit Hilfe eines per Augenbewegung gesteuerten Talkes kommunizieren.
Zudem kann er lesen und war Ende in der 10. Klasse einer Sonderschule in der Lage, bis 20 zu rechnen.
„Im eigenen Körper gefangen“
Dieses schwere Schicksal führt das OLG auf den
groben Fehler der Hebamme zurück. Hinzu komme, dass auch der Pädiaterin in der weiteren Behandlung des Neugeborenen ein Fehler unterlaufen sei, da sie die Ergebnisse der Blutgasanalyse IV unbeachtet gelassen habe. Dadurch sei der extrem problematische Wert nicht bemerkt worden, und das zu einem Zeitpunkt, in dem die Ärzte möglicherweise noch positiv auf das Geschehen hätte einwirken können.
Das OLG sprach dem Jungen daher ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 800 000 Euro zu und ging damit über den sonst üblichen Rahmen bei Geburtsschäden hinaus (OLG Hamburg, Az. 1 U 95/23).
Das sagt der Fachanwalt für Medizinrecht:
Die Entscheidung zeigt, dass bei der Bemessung eines Schmerzensgeldes nicht nur körperliche Beeinträchtigungen zu berücksichtigen sind, sondern das gesamte Ausmaß der Lebensbeeinträchtigung. Trägt ein Mensch aufgrund eines schweren ärztlichen Fehlers massive körperliche Schäden davon, und muss er diese aufgrund der nach wie vor bestehenden kognitiven Fähigkeiten tagtäglich bewusst spüren, ist es daher angemessen, das Schmerzensgeld höher anzusetzen als bei Betroffenen, die ihre Beeinträchtigungen nicht in vollem Umfang erfassen können.
Wie die Aussichten in Ihrem konkreten Fall stehen, kann ein Rechtsanwalt mit genauen Kenntnissen im Arzthaftungsrecht beurteilen. Rechtsanwalt Jürgen Wahl ist
Fachanwalt für Medizinrecht und
Fachanwalt für Versicherungsrecht.
Anwalt Arzthaftung: Sie erreichen ihn unter der Telefonnummer
069 / 82 37 66 42 oder per E-Mail unter
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